Was von Lützerath geblieben ist

Beamte der Aachener Hundertschaft sichern das Gelände von Lützerat. Im Hintergrund erkennt man die Mauern eines Hofs. An den Mauern hängt ein Plakat und es ist ein Ausschnitt des Plakates zu sehen, auf dem "Lützerath bleibt!" steht.
Was von Lützerath geblieben ist
Nachdem die letzten zwei selbsternannten Bewohner, die in einem selbst gebuddelten Tunnel ausgeharrt hatten, Lützerath verlassen hatten, nahm die Ermittlungskommission die Arbeit auf.
Streife-Redaktion

Auftrag der Ermittlungskommission war es, Straftaten, die bei der Räumung und den anschließenden Versammlungen stattgefunden hatten, aufzuklären und die linksextremistisch agierende Szene aufzuhellen.

Lützi bleibt!“ heißt es auf den vielen gelben Bannern und Schildern. Einige sind als Asservate aus dem ehemals besetzten Weiler Lützerath ins Aachener Polizeipräsidium gekommen. Hier arbeitet die Ermittlungskommission Hambach der Kriminalinspektion Staatsschutz.

Die Polizei Nordrhein-Westfalen hat im Januar 2023 die kleine Ortschaft Lützerath im Rheinischen Braun kohlerevier in fünf Tagen geräumt. „Ich ahnte, dass es schnell gehen wird, aber dass das so fix passiert, hatte ich nicht erwartet“, erinnert sich Kriminalhauptkommissar Alexander Maaßen. Er muss es wissen. Seit 2016 befasst er sich mit den Besetzungen im Hambacher Forst, war unter anderem auch im Dannenröder Forst und in Leipzig zur Einsatzberatung eingesetzt und hat zuletzt die Räumung von Lützerath mit begleitet. 

„Lützi“ ist also nicht geblieben. Selbst bei Google Maps findet man den Ort heute nicht mehr. Dafür wurde 60 Kilometer weiter westlich in Aachen, nur wenige Tage nach der Räumung, die gleichnamige Ermittlungskommission Lützerath gegründet. 

Kriminaloberkommissarin Bartke und Kriminalhauptkommissar Maaßen sind langjährige Mitglieder der EK Hambach, die am 1. Februar 2016 aufgrund der zunehmenden Begehung von Straftaten im Rheinischen Braunkohlerevier ins Leben gerufen worden war. „Ob Baggerbesetzung oder Tripod – in Aachen kennt man sich mit jeder Form von Besetzung und Klimaprotest bestens aus. Nach den Erfahrungen aus dem Hambacher Forst wussten wir, mit wem wir es zu tun haben“, so der 51-Jährige.

Er ist seit 1996 bei der Polizei, selbst auf rheinischer Braunkohle aufgewachsen und wohnt ganz in der Nähe vom Hambacher Forst. In der durch den Leiter der Kriminalinspektion Staatsschutz geführten Ermittlungskommission Lützerath verantwortete Maaßen den Einsatzabschnitt Ermittlungen. Heute leitet er die EK Hambach und weiß: „Die Polizei schützt friedlichen Protest. Aber manche Szenen, die es bei der Räumung zu sehen gab, hatten damit nichts mehr zu tun. Lützerath wurde teils von militanten Linksautonomen für eigene Zwecke instrumentalisiert. Um Klimaschutz ging es da nicht. Die Personen kannten wir schon aus vorherigen Einsätzen. Das waren nicht nur Wochenendtouristen, die mal zum Demonstrieren ins Rheinland gekommen sind. Und je tiefer man ermittelt, desto mehr kriminelle Energie findet man“, kommentiert Maaßen.

11 Meter Tiefe ausgeharrt hatten, Lützerath verlassen hatten, nahm die EK ihre Arbeit auf. Auftrag war, Straftaten, die bei der Räumung und den anschließenden Versammlungen stattgefunden hatten, aufzuklären. Dabei ging es auch darum, gewaltsame Klimaaktivisten zu überführen und die Verbindungen in die linksextreme Szene weiter aufzuhellen.

Denn die Räumung lief nicht nur friedlich ab. Monatelang wurde der Polizeieinsatz vorbereitet. Hundertschaften aus dem ganzen Bundesgebiet kamen zur Unterstützung ins Rheinische Braunkohlerevier. Am vierten Tag der Räumung kam es zu Gewalt. Polizeiketten wurden durchbrochen. Mehrere hundert Demonstranten versuchten, Lützerath zu erstürmen. 46 Polizistinnen und Polizisten wurden dabei durch Fremdeinwirkung verletzt.
Alexander Maaßen resümiert: „Das Ausmaß der Gewalt gegenüber den Kolleginnen und Kollegen war außergewöhnlich hoch. Es gab den Bewurf mit Böllern und Pyrotechnik, aber auch tätliche Angriffe mit Gegenständen wie Eisenstangen und Ähnlichem. Insoweit waren wir bei unseren Ermittlungen maximal motiviert, die Täterinnen und Täter aus der Anonymität zu holen. Das haben wir auch für unsere Kolleginnen und Kollegen da draußen getan.“ 

Bartke war an dem Tag selbst vor Ort: „Ich erinnere mich noch sehr gut an den 14. Januar und das bedrohliche Szenario. Man hörte aus der Weite, wie eine große Menschenmasse schreiend auf Lützerath zustürmte. Die Geräuschkulisse war beängstigend. Die eingesetzten Kolleginnen und Kollegen mussten über Stunden bis an ihre Belastungsgrenze und teilweise darüber hinaus gehen, damit Lützerath nicht gestürmt wird.“ 

Kriminaloberkommissarin Bartke wird von den sächsischen Kollegen „Wiedererkennerin“ genannt. Bei der Polizei Nordrhein-Westfalen hingegen ist man etwas nüchterner. Hier ist sie Sachbearbeiterin, die Straftäter und ihre Gesichter erkennt. Dabei hat sie mittlerweile ihre ganz eigene Herangehensweise entwickelt. „Zuletzt schaue ich mir immer die Ohren an. Egal ob Piercing oder bunte Haare, egal wie sich das äußere Erscheinungsbild einer Person verändert, die Ohren verändern sich nicht“, erklärt sie. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen werden dabei von einer Gesichtserkennungs-Software unterstützt.

„Aber auch die gerät zum Teil an ihr Limit. Teilweise erkenne ich daher Dinge, die die Software nicht erkennen kann. Menschliches und digitales Gehirn müssen sich sinnvoll ergänzen. Denn auch das beste Programm ist nur so gut wie der Mensch, der es bedient. Es ist aber insbesondere eine enorme Arbeitserleichterung“, merkt Bartke an. „Wir füttern das Programm mit dem Bild- und Videomaterial, das uns vorliegt. Und dann laden wir das Suchbild hoch, um die Person zu finden. Wenn ich einen Treffer habe, schaue ich mir den Report an und sehe, wie plausibel der Treffer ist. Stimmen die Treffer überein, fertige ich einen Identifizierungsvermerk“, erklärt Bartke.

Neben den gelben Bannern und Schildern hat die Polizei auch 3,4 Terabyte Bild- und Videomaterial aus Lützerath mitgebracht. Das sind mehr als 100 Stunden Videomaterial, das gesichtet werden musste. Die Aufnahmen der Polizei vom Einsatz wurden durch frei zugängliche Videos und Fotos aus dem Bereich Social Media ergänzt. Hinzu kamen Befragungen von Opfern und Zeugen aus dem ganzen Bundesgebiet. Das auszuwerten, verlangte Mühe, Zeit und ganz viel Herzblut.

Die größte Herausforderung dabei war es, die digitalen Ergebnisse der Auswertung den Zeugenaussagen und einem konkreten Sachverhalt zuzuordnen. Ist diese konkrete Straftat das, was man auf dem Video sieht? Wo ist das passiert? Wann war die Beweissicherungseinheit wo auf dem Gelände? Sehe ich noch andere Straftaten auf der Videosequenz? Die Kriminaloberkommissarin fasst zusammen: „Man muss Straftat und Video zusammenbringen. Und dann geht es mit den schriftlichen Arbeiten weiter.“

Die seit Februar 2016 bestehende EK Hambach und zuletzt die EK Lützerath sind wie eine eigene Dienststelle im Polizeipräsidium Aachen. Ermittelt wird hier mit Lagekarten des Rheinischen Braunkohlereviers, zwischen Aktenregalen und mit moderner Technik. Wichtig für erfolgreiche Ermittlungen ist der Informationsaustausch mit den anderen Staatsschutzdienststellen – national wie international.

Mit den Kollegen in Frankreich nimmt die Aachener EK immer wieder Kontakt auf. Zuletzt wegen Ermittlungen gegen den sogenannten „Mönch von Lützerath“, der über ein Video von der Räumung, das über die sozialen Medien tausendfach geteilt wurde, Bekanntheit erlangt. Er schubste einen Polizisten, der mit dem Fuß im Schlamm stecken geblieben war, zu Boden. Bei der Person in Mönchskutte handelte es sich um einen jungen Mann, den man schon vom G20-Gipfel in Hamburg kannte. Auch bei der französischen Polizei ist der Mann kein Unbekannter. In Frankreich wurde er wegen einer ähnlichen Tat bereits verurteilt. Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach leitete nun ein Verfahren wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte ein. Das Verfahren läuft noch.

Maaßen betont: „Wir kennen die Leute. Die Klimaaktivisten-Szene haben wir hier aus Aachen bundesweit im Blick. Mittlerweile unterstützen wir überregional und geben unser Wissen bei Einsatzführung und Ermittlung gerne weiter. Aktuell hat uns eine Anfrage aus Brandenburg erreicht. Störer hatten sich auf dem Tesla-Gelände ausgetobt. Dabei handelt es sich ebenfalls um Protagonisten, die uns nicht unbekannt sind.“

Was hat die EK Lützerath aus der riesigen Datenmenge gemacht? 594 Strafanzeigen, 281 identifizierte Tatverdächtige. Auch die Aufklärungsquote kann sich mit 26 Prozent sehen lassen. Tendenz steigend. Die Ermittlungen laufen weiter. In vielen Fällen waren die Täter vermummt und nicht immer war das Videomaterial so eindeutig, dass man die Personen gleich einwandfrei identifizieren konnte. Maaßen ist sich sicher: „Damit haben wir nicht nur verdammt gute Arbeit, sondern auch ideale Vorarbeit für künftige ähnliche Einsätze geleistet. Und die wird es zweifelsohne geben.“

Lützerath ist sicher ein kleiner Teil der Geschichte des Rheinischen Braunkohlereviers. Aber was Lützerath auch ist: ein gelungener Polizeieinsatz und eine Ermittlungskommission, die weiß, wie es geht.

In dringenden Fällen: Polizeinotruf 110