Die Wurzeln der Solidargemeinschaft in westlichen Demokratien sind nicht mehr so fest verankert, wie sie es sein sollten. Das ist der Nährboden, auf dem sich nationalistisches und extremistisches Gedankengut verbreitet und leicht Anhänger finden kann. Denn Gegner der Demokratie versuchen, in turbulenten Zeiten an jeder Ecke Unterstützer zu gewinnen. Nicht ohne Erfolg. Das Landeskriminalamt NRW zeigt sich jedoch gewappnet, um die Gefährder zu erkennen. Eine gewaltige Herausforderung. Die Sicherheitslage erfordert einen 360-Grad-Blick. Aus allen Richtungen greifen Extremisten unsere Gesellschaft an. Gehetzt wird auf den Gassen oder im Cyberraum. Grenzen verschwimmen. Auch ausländische Mächte steuern Desinformations- und Destabilisierungskampagnen. Die Abteilung 2 im LKA, „Terrorismusbekämpfung und Staatsschutz“, stellt sich entschlossen gegen alle, die unsere freiheitliche Gesellschaft unterminieren wollen.
Besorgniserregend ist beispielsweise die mörderische Energie von Islamisten. Das zeigt der Messerangriff in einem Duisburger Fitnessstudio, bei dem vier Männer am 18. April 2023 teils lebensgefährlich verletzt wurden. Derselbe Täter, ein 27 Jahre alter Syrer, hatte wenige Tage zuvor auf der Straße einen ihm unbekannten 35-Jährigen mit zig Messerstichen verletzt und war geflohen. Das Opfer starb noch am selben Tag.
Mittlerweile ist Maan D. vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Mordes in einem Fall sowie wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in vier weiteren Fällen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Darüber hinaus wurde die Sicherungsverwahrung angeordnet. Während des Verlesens der Anklageschrift zeigte der bärtige Glaubensfanatiker keine Reue und hob – wie bei IS-Anhängern üblich – einen Finger zum Himmel.
„Dass sich Personen im Internet im Sinne einer militant-jihadistischen Ideologie selbst radikalisieren, kommt häufig vor“, konstatiert Jochen Bäcker. Der Kriminaldirektor führt im Landeskriminalamt das Dezernat 24 „PMK – Religiöse Ideologie“. „Dazu bedarf es im Zweifel auch keiner direkten Anbindung an den sogenannten IS oder eine andere Terrororganisation.“ Personen, die in keine festen organisatorischen Strukturen eingebunden seien, könnten lange im Verborgenen wirken. „Wir sind auf Informationen angewiesen, um gezielt gegen Islamisten und Jihadisten vorgehen zu können“, stellt der Beamte fest. „In unserem Dezernat ist im Lagefall eine zentrale Stelle (ISA) eingerichtet, bei der alle Hinweise aus Land und Bund zusammenlaufen.“ Viele Einzelfakten ergäben mit der Zeit ein schlüssiges Gesamtbild. „Wir haben in unserem Haus viel Expertise, um die Puzzleteile zusammenzufügen.“
Abstimmung mit anderen Behörden ist immer wieder nötig. Im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) von Bund und Ländern werden regelmäßig relevante Gefährdungssachverhalte erörtert. Die Koordinierungsstelle beschäftigt sich ausschließlich mit der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus. „Bei einer konkreten Bedrohung erfolgt die Einrichtung einer BAO beim zuständigen Polizeipräsidium, um mit einem schlagkräftigen Team sofort loszulegen und Gefährder ins Visier zu nehmen und dingfest zu machen“, erläutert Bäcker.
Beim gemeinsamen Kampf kämen oft erste Hinweise von Nachrichtendiensten. So sei man auch auf den Iraner aufmerksam geworden, der in Castrop-Rauxel einen Giftanschlag mit Rizin und Cyanid vorbereitet haben soll. Er ist kein Unbekannter: 2018 hatte man ihn wegen versuchten Mordes zu sieben Jahren Haft verurteilt. Eine Spezialeinheit nahm den Verdächtigen in der Nacht vom 7. auf den 8. Januar 2023 fest. Nun ist er vom Landgericht Dortmund zu vier Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden.
Der LKA-Beamte Bäcker ist auch von dem alarmiert, was gerade einem deutschen Konvertiten vorgeworfen wird. Der Islamist soll die Absicht gehabt haben, mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge zu fahren. Im Oktober wurde er festgesetzt. „In der Sache wird jetzt umfangreich ermittelt.“ Bäcker spricht von „Funktionstypen“ in der islamistischen Szene. Auf der einen Seite gebe es die Gefährder, meist jüngere Männer. Auf der anderen die Drahtzieher – Prediger, Logistiker oder Spendensammler.
Die Islamwissenschaftlerin Julia H. vom Wissenschaftlichen Dienst des Dezernats 22 hat sich ausgiebig mit dem Milieu der Salafisten und Jihadisten beschäftigt. „Wir helfen, verschiedene Facetten innerhalb des Phänomenbereichs einzuordnen, und leisten Unterstützung sowohl im Haus als auch dort in der ,Fläche‘, wo keine Islamwissenschaftler tätig sind“, informiert die Expertin. Botschaften würden verdeckt gesendet. Um die eigentlichen Absichten zu entschlüsseln, sei der „Kontext“ wichtig. Der Fahndungsdruck habe die islamistische Szene verändert, erläutert Hauff. Wer zu allem entschlossen sei, verändere nicht mehr zwangsläufig sein Äußeres. Früher seien ein langer Bart oder knöchelfreie weite Hosen ein typisches Zeichen von islamistischen Attentätern gewesen. „Das hat sich verändert“, stellt sie fest. „Ein solcher Aufzug kann mittlerweile genauso gut nur eine Provokation sein. Auch wir benötigen möglichst viele Informationen für eine umfassende islamwissenschaftliche Bewertung.“
Das gilt letztlich für alle politischen Extremisten, mit denen es die LKA-Abteilung 2 zu tun hat. Christian Hartings ist Psychologe. Bei der Prüffallbearbeitung analysiert er, wie wahrscheinlich es ist, dass nach der Haftentlassung die politisch oder religiös motivierten Straftäter ihre kriminelle Karriere wieder aufnehmen. „Um das zu eruieren, versuche ich, mit ihnen selbst zu sprechen.“ Die Einschätzungen der Justizvollzugsanstalten bezieht der Regierungsbeschäftigte mit ein. „Es ist wichtig, zu wissen, ob der Antrieb, der zur Tat geführt hat, noch gegeben ist. Wir schauen uns auch das soziale Umfeld an. Schließlich geben wir Maßnahmenempfehlungen und formulieren, was passieren sollte, um das Risiko eines erneuten Abdriftens in den Terrorismus zu minimieren.“
Neben dem Wissenschaftlichen Dienst, für den Hauff und Hartings arbeiten, ist die Open Source Intelligence (OSINT) PMK im SG 22.2 angesiedelt. Sie wertet offen zugängliche Quellen – meist aus dem Netz – aus. „Überwiegend identifizieren und lokalisieren wir Personen“, sagt Teamleiter Fabian Coenen. Er arbeitet unter anderem mit Soziologen, ITlern und Politikwissenschaftlern zusammen. Bei der Suche nach Verdächtigen wird er manchmal überraschend schnell fündig. „Auf Instagram gab es vor einiger Zeit eine Morddrohung gegen einen prominenten Politiker aus Nordrhein-Westfalen“, erzählt der Medien- und Kommunikationswissenschaftler. „Unter dem Codenamen, den der Verdächtige dafür benutzt hatte, postete er auf TikTok auch ein Foto von sich und seinem Auto. Da hatten wir ihn anhand des Kfz-Kennzeichens. Ganz einfach.“
Die Terrorismusbekämpfung des LKA unterhält auch Ermittlungsgruppen. Christoph Zeidler ist mit seinen Beamten in alle Deliktbereiche politischer Kriminalität eingebunden. „Beauftragt werden wir vom Generalbundesanwalt oder von der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf“, stellt der Erste Kriminalhauptkommissar fest. „Wir bearbeiten nur Fälle, die die Sicherheitsbehörden für sehr wichtig erachten“, so Zeidler. „Dabei geht es um benennbare Beschuldigte, also Einzel-personen.“ Der Tatbestand der Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung steht im Mittelpunkt.
Im Auftrag des Generalbundesanwalts verfolgt eine Sondereinheit Verletzungen des Völkerstrafrechts. Ausländer, die irgendwo auf der Welt Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begangen haben, sollen sich nicht sicher fühlen können. „Wir möchten, dass sie irgendwann zur Verantwortung gezogen werden – auch wenn sie nie einen Fuß auf deutschen Boden setzen“, teilt Oli Petrosch mit. „Wir wollen das Geschehen dokumentieren, damit es nicht in Vergessenheit gerät.“ Häufig erfahre das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als erste deutsche Behörde von unvorstellbar grausamen Verbrechen. „Wir sind dankbar, wenn wir durch solche Hilfe zur Aufklärung beitragen können.“
Die Welt ist härter geworden und hat sich polarisiert. Das spürt auch das Dezernat 25. Es befasst sich neben der politisch motivierten Kriminalität von links auch mit dem Extremismus und Terrorismus ausländischer Ideologie, zum Beispiel den Umtrieben der kurdischen PKK, und mit Spionage. „Vor allem der Staatsterrorismus hat bei uns deutlich zugenommen“, konstatiert Dezernatsleiter Stefan Neugebauer. „Früher haben ausländische Staaten verdeckt operiert. Heute nehmen wir eine gewisse Gleichgültigkeit wahr“, wundert sich der Kriminaloberrat über die neue Dreistigkeit.
Dass beispielsweise staatliche Akteure gegen Menschen, die sie als "Staatsfeinde" oder "Verräter" betrachten, mittlerweile auch im Ausland mit erheblicher Gewalt vorgingen, habe sich hierzulande beim Berliner Tiergartenmord 2019 gezeigt.
Das Berliner Kammergericht hat die Tat in seinem Urteil als Staatsterrorismus bezeichnet.
Für die Spionageabwehr ist zwar der Verfassungsschutz zuständig. „Aber die Stellen dort teilen uns mit, wenn Menschen in Gefahr schweben“, betont Neugebauer. Immer mehr ausländische Dissidenten würden in Nordrhein-Westfalen bedroht. „Nicht nur von Russland, sondern auch von anderen einflussreichen Mächten.“ Leider sei das schwer nachzuweisen. Die Aktionen würden in der Regel von Botschaften dirigiert, deren Angehörige Immunität genießen. „Meistens sind nur die Handlanger für uns greifbar“, resümiert der Leiter des Dezernats 25 Stefan Neugebauer. „Trotzdem sind die potenziellen Opfer dankbar für den Schutz, den wir organisieren können.“
Zur Beurteilung der Gesamtlage ist der Verfassungsschutzbericht aufschlussreich. Die Zahl der politischen Straftaten ist 2022 in NRW um fast 40 Prozent angestiegen – mit Körperverletzungen, Propagandataten und massenhaften Verstößen gegen das Versammlungsrecht. Zahlreiche Fälle lassen sich klar einer politischen Richtung zuordnen. Da sind die Linksextremisten, deren Stärke derzeit auf 2.810 Personen beziffert wird. Sie hätten sich beispielsweise beim Braunkohlestreit um Lützerath und bei den Klimaaktivisten der Letzten Generation bemerkbar gemacht. Die Zahl der Rechtsextremisten wird mit 3.545 angegeben. Hier ist die Tendenz – anders als bei den Linken – eindeutig steigend.
Das Innenministerium schätzt den „Rechtsextremismus mit seiner menschenverachtenden Ideologie“ als die aktuell größte Bedrohung für die Demokratie ein. Die Reichsbürger hätten mit einem Prinzen Reuß an der Spitze im Dezember 2022 sogar einen Staatsumsturz geplant. Die scharfe Beobachtung der Reichsbürger hält an. Bei einer Razzia im Oktober 2023 ist auch ein Mann aus dem Kreis Mettmann festgenommen worden. Der 49-Jährige soll eine zentrale Rolle bei der mutmaßlichen Terrorgruppe „Vereinte Patrioten“ eingenommen haben. Ermittler werfen ihm die Vorbereitung eines „hochverräterischen Unternehmens“ vor, das in einen Staatsstreich münden sollte. Auch Anschläge auf die Energieversorgung waren anscheinend beabsichtigt.
Für Aufsehen sorgt ein in Stuttgart stattfindender Prozess gegen elf Männer. Sie sollen eine terroristische Vereinigung gegründet haben. Drei stammen aus NRW. Im Mindener Haus des 59 Jahre alten Thomas N. sind laut Anklage Anschlagspläne auf Moscheen besprochen worden. Die aufgezeichneten Unterhaltungen, die im Prozess immer wieder vorgespielt wurden, offenbaren ein fremdenfeindliches Weltbild und hohe Gewaltbereitschaft. Die Bundesanwaltschaft hält Thomas N. für eine zentrale Person der Gruppe und forderte für ihn eine Haftstrafe von fünf Jahren. Thomas N. wurde vom Oberlandesgericht Stuttgart zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nordrhein-westfälische Einsatzkräfte haben auch andere rechtsextreme Zirkel aufgemischt. Nach dem Verbot der Neonazi-Gang „Hammerskins“ und ihrer Unterstützer von „Crew 38“ wurden Wohnungen in Düsseldorf, Bochum, Goch und Wetter durchsucht. Sichergestellt hat man unter anderem Schlagringe und eine Menge Datenträger. „Offensichtlich war es Zeit, aufzuräumen“, kommentierte Innenminister Herbert Reul das Einschreiten.
Mit Musik- und Kampfsportveranstaltungen wollten diese braunen Verfassungsfeinde neue Anhänger finden. „Schutz der weißen Rasse“ hieß die Losung – mit Hitlergruß und verbotenen Symbolen. „Es hat sich sehr viel zusammengebraut“, urteilt Kriminaldirektor Detlev Boßbach vom Dezernat 23, das sich auf den Rechtsextremismus fokussiert. Die rechtsextremis-tische Szene sei im Wandel. Natürlich finde man noch die Klassiker mit Springerstiefeln und die Rocker. „Doch inzwischen bestimmen Leute das Bild, die sich selbst für die bürgerliche Mitte halten.“ Extremes Gedankengut werde wieder gesellschaftsfähig, diagnostiziert er.
Die Freiheitsfeinde müssten an allen Fronten durch Entschlossenheit entmutigt werden, mahnt Abteilungsleiter Holger Schepanski in seiner Analyse. Es sei ein Alarmsignal, dass die Feinde der Demokratie trotz ideologischer Gegensätze immer häufiger gemeinsame Betätigungsfelder suchen. „Wir müssen“, sagt der Leitende Kriminaldirektor, „mit aller Kraft dagegenhalten und unsere liberale Ordnung verteidigen.“
IM NRW / Tim Wegner
Staatsfeinde im Visier